Rauschen,
Stimmen und Musik:
Als das Radio auch Ostfriesland eroberte |
Als der erste deutsche Rundfunksender am 29. Oktober im Berliner Vox Haus seinen Betrieb aufnahm und damit eine neue Ära im Äther einleitete, horchte man zwar auch in Ostfriesland auf, aber einigermassen hörbar wurde das Radio hierzulande erst einige Zeit später. Nach einem erfolgreichen Auftakt in der Hauptstadt entstanden auch in anderen Teilen der Republik sogenannte Sendegesellschaften, darunter in Frankfurt/Main, Königsberg, Breslau und in Hamburg. In der Hansestadt an der Elbe gründeten der Getreidehändler Friedrich Blonck und eine Gruppe von weiteren Kaufleuten Ende Januar 1924 die Nordische - Rundfunk - Aktiengesellschaft, die legendäre Norag, die dann am 2. Mai mit zunächst vier, gegen Jahresende zehn Stunden Programm täglich auf Sendung ging. |
Foto: Quelle unbekannt * |
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Die Hamburger Gründung in dieser Form war kein Einzelfall: auch alle anderen deutschen Rundfunksender entstanden um diese Zeit zunächst als privatrechtliche Aktiengesellschaften. Allerdings: Schon weit im Vorfeld hatte sich der Staat die alleinige Berechtigung zur Errichtung und zum Betrieb von Telegraphen und Funkanlagen gesichert. Bereits 1919 hatte die Reichsregierung eine Verfügung erlassen, die das Postministerium und damit die Reichspost zur Zentralbehörde für das gesamte Funkwesen erklärte. Als die regional tätigen Sendegesellschaften schon 1925 in der Dachorganisation "Reichsrundfunkgesellschaft" (RRG) vereint wurden, behielt auch hier die Post ihre dominierende Stellung mit einer Kapitalbeteiligung von 51 Prozent. Vorsitzender war der Radio-Pionier Staatssektetär Hans Bredow. Entscheidenden Einfluss - in diesem Falle auf den Inhalt von Sendungen - sicherte sich parallel dazu das Reichsinnenministerium mit der Gründung der Aktiengesellschaft "Drahtloser Dienst", abgekürzt Dradag. Die Dradag hatte das Monopol für alle Nachrichtensendungen und andere Formen der politischen Berichterstattung. Sie war die einzige Stelle, von der die Sender ihre Nachrichten beziehen konnten. Die Dradag war sogar befugt, die Verbreitung bestimmter Nachrichten anzuordnen. Man sprach von "Auflagenachrichten", die ungekürzt gesendet werden mussten. Als Kontrollinstrumente gab es sogenannte Überwachungsausschüsse und Kulturbeiräte |
Foto: Quelle unbekannt * |
So konnte es schliesslich geschehen, dass die Nationalsozialisten im Rundfunkwesen leichtes Spiel hatten, als sie am 30. Januar 1933 an die Macht kamen. Im Frühsommer erklärten sie die Reichsrundfunkgesellschaft vollends zum Eigentum des Staates und unterstellten sie direkt dem Propagandaministerium mit Joseph Goebbels an der Spitze. Die regionalen Sendegesellschaften mussten sich auflösen. Aus der Norag, die im November 1932 in eine Norddeutsche Rundfunk GmbH umgewandelt worden war, wurde der Reichssender Hamburg. Mit dem Start der Hamburger Norag im Mai 1924 eroberte das Radio nach und nach Nordwestdeutschland, obwohl in Grenzbereichen, unter anderem in Ostfriesland, auch der Sender Münster des Westdeutschen Rundfunks Werag (später Köln/Langenberg) zu empfangen war. Wie Chronisten berichten, soll die Eröffnungswoche der Norag lediglich von rund 1000 (registrierten) Hörern verfolgt worden sein. Doch schon ein halbes Jahr später kletterte die Zahl auf 70000 bei einer monatlichen Gebühr von zwei Reichsmark. Hinzu kam eine nicht bekannte Zahl von Schwarzhören. Schon hier zeigte sich dass der Siegeszug des Radios nicht aufzuhalten war. 1928 registrierte man im gesamten Deutschen Reich rund 2,3 Millionen zahlende Teilnehmer. Das Gebhühreneinzugsgebiet des Hamburger Senders umfasste zunächst die Bereiche der Oberpostdirektionen Hamburg, Bremen, Kiel sowie Schweriner und Braunschweiger Gebiete. 1928 kamen die OPD Bezirke Oldenburg, ganz Schwerin und Braunschweig hinzu. Im Oldenburger Bereich (mit Ostfriesland) hatten die Hörer zuvor ihre Gebühren über die Post an die Kölner Werag abführen müssen. Die Phantasie der heutigen, vor allem jüngeren Hörern reicht kaum aus, sich die Pionierphase des Radios vor fast acht Jahrzehnten überhaupt vorzustellen. Wegen der anfänglich geringen Leistung des Hamburger Senders war der Empfang in entfernt liegenden Gebieten zunächst denkbar schlecht und teils extrem störanfällig - ein akustisches, jedoch von Anfang an faszinierendes Tongemisch aus Rauschen, Stimmen und Musik. Das änderte sich, als am 20. November 1924 in Bremen ein (vorerst ebenfalls schwacher) Nebensender der Norag seinen Betrieb aufnahm und somit weitere Teile des Weser Ems Gebietes besser versorgt werden konnten. |
Foto: Funktechnische Ausstellung Hessenpark / K. Protze |
Foto: Funktechnische Ausstellung Hessenpark / K. Protze |
Aber auch auf der Hörerseite
gab es noch lange Zeit Schwierigkeiten. Zwar
wurde in Berlin bereits 1924 eine
erste Funkausstellung veranstaltet, auf der
die Industrie die bis dahin
entwickelten Empfangsgeräte präsentierte.
Die im Laufe der Zeit
produzierten ersten Röhrengeräte mit
Lautsprechern waren wohl
qualitativ hochwertig, aber für den
"Normalverbraucher" nahezu unerschwinglich.
So waren die meisten Hörer in
der Pionierära auf
Detektorgeräte mit Kopfhörern angewiesen.
Erst gegen Ende der zwanziger Jahre
kehrte sich das Verhältnis allmählich
um, obwohl um diese Zeit
die Weltwirtschaftskrise mit ihren
verheerenden Folgen eine Stagnation
verursachte
Einige Zahlen: 1924 kostete ein Radiogerät mit vier Röhren zwischen 400 und 500 Mark, ein einfacher Detektorempfänger dagegen "nur" 70 Mark. Ein gelernter Arbeiter, verheiratet mit zwei Kindern, verdiente durchschnittlich 88 Pfennig in der Stunde, ein kleiner Angestellter rund 160 Mark im Monat. Ein Jahr später fielen die Preise. Ein Detektor kostete zwischen 15 und 20 Mark, ein Empfänger mit einer Röhre etwa 40, ein Gerät mit vier Röhren ab 200 Mark. Dazu kam entweder noch ein Kopfhörer für 7 bis 14 Mark oder ein (damals noch extra anzuschaffender) Lautsprecher zwischen 60 und 100 Reichsmark. Wer sich über das Programm informieren wollte, hielt sich zusätzlich eine Rundfunkzeitschrift. Die Hamburger Norag gab fast von Anfang an wöchentlich eine eigene illustrierte "Rundfunk-Zeitung" mit dem Angebot ihren Sendergruppe heraus. Die Detektor-Zeit war auch in Ostfriesland die Stunde der Bastler und Tüftler. Schon vor dem offiziellen Start des deutschen Rundfunks entstanden - zunächst in den Großstädten, dann auch in der Provinz - schier unzählige Bastler-Clubs. Sie alle wollten die neuen Töne hörbar machen. Man tauschte Schaltpläne und Einzelteile aus und lieferte darüber hinaus der Industrie kommerziell verwertbare Informationen. Im April 1924 schlossen sich viele Gruppen radiobastelnder Arbeiter zum Arbeiter-Radio-Club-Deutschland (ARK) zusammen. 3000 Interessenten erklärten in der Gründungsversammlumg in Berlin ihren Beitritt. Die Ziele des ARK gingen über die Lust an der Bastelei hinaus: Er wollte nicht nur das Verhältnis für die Radiotechnik fördern, sondern auch Einfluss auf die Gesetzgebung und auf die bestehenden Unternehmungen im Radiowesen nehmen - vergeblich |
Foto: Quelle unbekannt * |
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Mitter der zwanziger Jahre konnte die Norag ein nahezu ganztägiges Programm anbieten. Es brachte in den Morgen- und Vormittagsstunden unter anderem Nachrichten, Sportbeiträge, Beiträge für die Frau und für die Landwirtschaft, den Wetterbericht und das Zeitzeichen. Mittags folgte die Norag-Funkbörse mit Nachrichten aus der Wirtschaft. Nach einer Sendepause gab es weitere Wortbeiträge, darunter den Kriminalfunk mit Fahndungsmeldungen nach Straftätern, aber auch Musikprogramme und Funkwerbung, die schon bald nach Einführung des Radios ausgestrahlt wurde. Am frühen Abend folgten Vortrags- und Unterhaltungsprogramme. Abends brachte die Norag ein zumeist hochwertiges Kulturangebot mit Originalübertragungen von Opern, Operetten, Konzerten und Schauspielen. Operetten standen laut Umfragen in der Hörergunst ganz oben, gefolgt von "Tagesneuigkeiten". Als Eigenproduktionen entstanden die ersten Hörspiele. Nach den 22 Uhr-Meldungen erklang zum Tagesausklang leichte Unterhaltungs- und Tanzmusik, entweder aus den eigenen Senderäumen oder aus einem Cafe. Beliebt waren auch Musiksendungen von Schallplatten. In der Anfangsphase des Rundfunks war es üblich, dass die Sender an Sonntagvormittagen keinen Gottesdienst übertrugen, sondern zwischen 10 und 11 Uhr eine einstündige Pause einlegten, um den Hörern den Kirchgang zu ermöglichen. NORA Baby Pk / Audion mit Rückkopplung (1926) Foto: Helmut Schrammel Da die Nebensender der Norag über eigene Frequenzen verfügten, konnten sie auch bereits ab 1925 getrennt eigene Beiträge senden. Der Nebensender Bremen zum Beispiel führte schon sehr früh eigene Mittagskonzerte ein, um (so wörtlich) "den in der Tretmühle ihres Berufes erblassten Menschen Strausswalzer und Kammermusiken, Belebung und Sammlung" zu bieten. Aus dem Stadttheater übertrugen die Bremer in jenem Jahr im Hauptabendprogramm Mozarts "Entführung aus dem Serail". Bis zum Ende des Jahrzehnts nahm die Zahl der Bremer Eigenbeiträge immer mehr zu. Wie der Rundfunk in den Anfangsjahren in Ostfriesland "ankam", ist den insgesamt wenigen Notizen in den Heimatzeitungen kaum zu entnehmen. Eine Resonanz findet sich jedoch im jeweiligen Jahresrückblick ("Toornhahntje") des Ostfreesland-Kalenders aus Norden. In der Rückblende auf das Jahr 1924 jubelte der Chronist: "Was für eine herrliche Erfindung mit dem Rundfunk! So einen Radioapparat wünscht Toornhahntje sich auch. Dann könnte er sich in seiner Einsamkeit an Konzerten aus Berlin und London erfreuen, ja, auch von den neusten Kochrezepten erführe er auf diese Weise etwas, ganz zu schweigen von allem anderen Interssanten." Und rückschauend auf das Jahr 1925 schrieb der Chronist: "Vom Rundfunk redet man nicht mehr soviel wie voriges Jahr. Der erste Ansturm scheint vorüber zu sein. wir können aber mit Sicherheit voraussagen, das in wenigen Jahren, wenn gewisse Schwierigkeiten erst überwunden sind, Rundfunkeinrichtungen in Massen kommen werden. Ostfriesland würde damit nur dem Beispiel folgen, das die grösseren Städte jetzt schon geben. |
Foto: Quelle unbekannt * |
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Aus heutiger Sicht lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass das Radio in seiner deutschen Anfangsphase in Ostfriesland durchaus ein Thema war - sonst wäre der Kalender Chronist nicht darauf eingegangen. Doch die technischen Voraussetzungen waren hier, wie in vielen anderen Regionen, noch unzureichend. Das lag vor allem an der Leistungstärke der Sender. Sehr wohl gab es aber auch in Ostfriesland schon sehr früh die zitierten Radio-Bastler, die im Äther auf "Jagd" gingen. Ende der zwanziger, Anfang der dreissiger Jahre besserten sich die Verhältnisse. Das Radio wurde nun auch hierzulande immer mehr zum unentbehrlichen Allgemeingut, und auch die Funkleute richteten sich darauf ein. Im Sommer 1932 beispielsweise gab es unter dem Titel "Die deutsche Küste" ein zweistündiges Hörbild, das sich vor allem an die Binnenländer richtete. Im Ostfreesland-Kalender hiess es: "Ostfriesland schnitt dabei am besten ab. Norden machte den Anfang mit dem Spiel der St. Ludgeri-Kirchenglocken, dem eine Improvisation auf der herrlichen Arp-Schnittger Orgel folgte. Die zu Herzen gehende plattdeutsche Predigt des Inselpastors Dr. Reimers (Spiekeroog) hat in manchem Landsmann in der Ferne die Sehnsucht nach der Heimat wach werden lassen. Auf Borkum und Norderney nahm man Schallplatten auf, und selbst auf dem Memmert stand das Mikrofon, um das Geschrei der Tausende dort nistenden Seevögel aufzufangen. Man hörte Otto Leegde, der Vater des Memmert, der in diesem Jahre seinen 70. Geburtstag feierte, und seinen Sohn und Enkel. Interessant war das, was man aus Emden hörte, vor allem das Stimmungsbild vom Emder Hafen. Es war auf jeden Fall etwas Besonderes und hat auf viele einen eigentümlichen Reiz ausgeübt, einmal die Heimat im Rundfunk zu hören. In der Heim-und-Herd-Ausgabe vom 24. Dezember 1997 hat der Verfasser dieses Beitrags die weitere ostfriesische Rundfunkgeschichte zwischen 1933 und heute beschrieben: 1939 nahm in Osterloog bei Norden ein Grossrundfunksender seinen Betrieb auf, (Siehe die Seite "Großsender Osterloog ") der das Programm des Reichssenders Hamburg und Propagandasendungen für das Ausland ausstrahlte. Nach Kriegsende sendeten von hier aus zunächst die britische BBC und später der Nordwestdeutsche beziehungsweise Norddeutsche Rundfunk. Seit Anfang der sechziger Jahre wird die Region über den Sender Aurich mit Radioprogrammen versorgt. Auf
der DVD-ROM ist dieser Bericht mit einigen
orig. Tondokumenten auch als "Hörversion" verfügbar.
Quellen: Ostfriesischer Kurier, Norden, verschiedene Jahrgänge Ostfreesland-Kalender, Norden, verschiedene Jahrgänge Der NDR, Schlütersche Verlagsanstalt, Hannover Winfried B. Lerg: Rundfunkpolitik in der Weimarer Republik, dtv, München Peter Dahl: Radio, Rowohlt, Hamburg Der Rundfunkhörer, Programmzeitschrift, November 1931 Werag, Programmzeitschrift, März 1932 Interviews mit Zeitzeugen Verantwortlich für den Inhalt: Joh. Haddinga Die auf dieser Webseite verwendeten Warenzeichen, eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Markennamen dienen nur der Beschreibung. Aus der Verwendung dieser Namen und Zeichen - auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind - darf nicht geschlossen werden, dass sie frei verfügbar sind; alle Rechte liegen bei ihren Eigentümern. * Quelle und Rechteinhaber unbekannt. Bitte setzen Sie sich im Fall von begründeten Rechtsansprüchen mit dem Autor in Verbindung |